Mangelnde politische und gesellschaftliche Wertschätzung, fehlende Strukturen: ein Problem, das Eltern und Social Entrepreneure eint. Im neu gegründeten Think Tank von COSI und den ParentPreneurs bringen wir das Thema auf den Tisch, erarbeiten Lösungsideen und Handlungsempfehlungen und unterstützen Gründer*innen ganz konkret, die Unternehmen für eine bessere Vereinbarkeit aufbauen wollen.

Berlin, Februar 2021. Ein guter Bekannter ist am Telefon. Es ist die letzte Woche seiner Elternzeit. Oh wow, das ging schnell, sage ich. Dann die Standardfrage: Und, habt ihr einen Kitaplatz? Es folgt die Standardantwort in Berlin, im Februar, im Jahr 2021: Nein, natürlich nicht. Über den „Kita-Navigator“, die zentrale Online-Plattform, hätten sie es versucht, weil viele Kitas nur noch darüber Anmeldungen annehmen. Das Problem: Man kann sich parallel nur für zehn Kitas bewerben. Erst wenn eine Kita elektronisch absagt, wird die Bewerbungsoption für eine weitere Kita freigeschaltet. Leider sagen jedoch die wenigsten Kitas auf der Plattform ab, weil sie angesichts hunderter Bewerbungen und chronischen Personalmangels keine Kapazitäten dafür haben. Also doch wieder Klinken putzen, Kuchen backen, ungefragt auf der Matte stehen, sich gegebenenfalls noch unbeliebter machen und innerlich zusehends verzweifeln? – Ich wünsche ihm viel Glück, ganz unironisch, und lege auf.

Berlin, Januar 2016. Meine Mitgründerin Silvia und ich sitzen in einem Coworking Space in Berlin Neukölln und besprechen die nächsten Schritte unseres Gründungsvorhabens: des ersten Coworking Spaces mit flexibler Kinderbetreuung in der Stadt. Hinter uns liegen aufregende Monate, lange Arbeitstage, wache Nächte an Kinderbetten, über Businessplänen und auf Webseiten von regionalen und EU-Wirtschaftsförderungen. Unseren Businessplan haben wir mit Hilfe einer erfahrenen Gründungsberaterin erstellt. Die Zahlen sind so, dass das Business sich trägt, vielleicht sogar – wenn auch überschaubare – Gewinne abwirft. Uns geht es vor allem um die Sache, um einen Ort, an dem Menschen in jeder Lebensphase Seite an Seite arbeiten können, an dem Eltern Entlastung finden und ein Umfeld, in dem sie sich nicht zwischen Arbeit und Familie zerreißen müssen. Typisches Social Enterprise, wie wir später lernen, als das Thema „Social Entrepreneurship“ immer mehr in den Fokus der öffentlichen Wahrnehmung rückt. In den vorangegangenen Wochen haben wir mit vielen Menschen gesprochen, auf Netzwerkveranstaltungen, in Behörden, beim Coaching. Der Tenor: Das ist ein ‚Frauenthema‘, da kriegt ihr überall Förderung. Jede Menge Töpfe, kein Problem. Doch egal, welchen Topf wir uns ansehen, ob im Bereich Frauenförderung, Diversität, Familienhilfe, Gründer- oder Nachbarschaftsförderung – nirgends erfüllen wir die Kriterien, denn wir sind ein Unternehmen, eine GbR, und damit nicht gemeinnützig genug. Den klassischen Wirtschaftsförderungen wiederum sind wir nicht „unternehmerisch genug“ – die wollen Millionenumsätze sehen oder mindestens was mit ‚Tech‘ im Namen. Ok, dann eben ohne Förderung, auf eigene Faust, mit Kredit von der Bank, volles Risiko, trotz Elternzeit. Silvias Telefon klingelt, die Bank ist dran – wir bekommen den Kredit nicht. Man(n) glaube nicht an Relevanz und Erfolg eines Coworking Spaces mit Kinderbetreuung. Zudem fehle uns die „Branchenerfahrung“. Erfahrung in einer Branche, die gerade erst entsteht und die der Bankberater nicht kennt. Wir sind schockiert, kurz verzweifelt, dann nehmen wir einen zweiten Anlauf bei einer anderen Bank. Dieses Mal pitchen wir unsere Gründungsidee bei einer Frau. Wir bekommen den Kredit.

Was haben diese beiden Erfahrungen aus dem Januar 2016 und dem Februar 2021 gemeinsam? – Sie zeigen, wie sowohl Kinder kriegen und Social Entrepreneurship nach wie vor gesehen und behandelt werden: als Privatvergnügen. Nach dem Motto „Selbst Schuld, wer sich dafür entscheidet.“ Dass Deutschland seit Jahren zu den Ländern mit der niedrigsten Geburtenrate gehört, ist kein Zufall. Und auch in puncto Social Entrepreneurship ist die Bundesrepublik nach wie vor Entwicklungsland. In der Studie „The best country to be a Social Entrepreneur“ belegte Deutschland einen traurigen 21. Platz. Bei der Unterstützung durch die Politik reichte es sogar nur für Platz 34. Es fehlt an politischer Wertschätzung und an Förderinstrumenten, in denen sich eine solche Wertschätzung widerspiegeln würde.

Das System reparieren – aber bitte unbezahlt?

Das ist ein grundsätzliches Problem, es ist aber auch und gerade ein Eltern-Problem und insbesondere ein Problem für weibliche Gründer*innen. Denn unter den Social Entrepreneuren sind auffällig viele Frauen und weiblich geprägte Menschen. Während in Deutschland nur 16 Prozent der Startups von Frauen gegründet werden, sind es bei den Sozialunternehmen fast 47 Prozent. All diese Unternehmer*innen nehmen sich den großen Herausforderungen unserer Zeit an, von Klimakrise über Integration bis Vereinbarkeits- und Bildungsthemen. Sie machen das hauptberuflich und erfolgreich – wenn man Erfolg auch in Impact misst, statt nur in Profit. Denn es liegt in der Natur der Sache, dass sich mit Lösungen für tiefgehende gesellschaftliche Probleme nur schwer Geld verdienen lässt. Gleichzeitig ersparen sie der Politik regelmäßig Leistungen in Millionenhöhe, indem sie Geflüchtete integrieren, Lernplattformen entwickeln oder digitale Alltagshelfer für Menschen mit Behinderung bauen – alles Dinge, die eigentlich Aufgabe des Staates sind. Genau wie endlich für eine flächendeckende gute Kinderbetreuung zu sorgen.

Zwei Jahre nachdem wir gegründet haben, entschieden die Berliner Jugendämter, sich an den Kosten zu beteiligen, die Eltern entstehen, wenn sie die Betreuung in unserem Coworking Space nutzen. Vorausgesetzt, Eltern können nachweisen, dass sie trotz Bemühungen keinen Kitaplatz gefunden haben. Diese Zusage der Behörden kam nicht etwa aus gutem Willen oder aus Anerkennung der Tatsache, dass wir einen Teil des Kitaplatzmangels in der Stadt abfangen. Sie kam vor allem aus Angst, von einer Klagewelle überrollt zu werden, seit immer mehr Eltern bereit sind, ihren Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz auch gerichtlich einzufordern.

Think Tank: Neue Arbeitsstrukturen für Eltern

Der Corona-bedingte Lockdown hat einmal mehr gezeigt, dass bestehende Arbeitsstrukturen nicht dem entsprechen, was viele berufstätige Eltern und Familien brauchen. Homeoffice mit Kind oder das firmeneigene „Familienbüro“, das oft nur ein Raum mit einem Schreibtisch und einer Spielzeugkiste ist, zeugen nicht nur von Lustlosigkeit, sich wirklich mit dem Thema zu beschäftigen, sondern auch von mangelnder Kenntnis, was es heißt, mit einem Kita-Kind in einem Raum zu arbeiten. Wer Eltern wirklich unterstützen möchte, muss sich mit ihren Lebens- und Arbeitsrealitäten auseinandersetzen, muss nachfragen und zuhören. Es ist wenig überraschend, dass es am Ende meist Eltern selbst sind, die Initiativen und Projekte für eine bessere Vereinbarkeit starten, so wie im Falle unserer Gründung auch. Was ok wäre, wenn diese Unternehmungen eine entsprechende politische und wirtschaftliche Wertschätzung erführen. Tun sie aber nicht.

Das muss ich ändern! Daher krempeln wir einmal mehr die Ärmel hoch. Im Wahljahr 2021 geben wir Social Entrepreneuren, die neue Arbeitsstrukturen für Eltern entwickeln, eine Stimme und gezielte Unterstützung. Im neu gegründeten Think Tank „COSI.collab“, den wir zusammen mit Michelle Bäßler von COSI ins Leben gerufen haben, sammeln wir Erfahrungen und Best Practices, identifizieren Hürden und leiten daraus Handlungsempfehlungen für Politik und Wirtschaft ab. Wie vielschichtig das Thema „Flexible Arbeitsorte für Eltern“ ist, zeigte sich bereits im Auftakt-Meetup, bei dem die Teilnehmenden – erfahrene Space-Betreiber*innen und potentielle Gründer*innen – die Chancen und vor allem die Herausforderungen einer Gründung zusammengetragen haben.

 

Viele Hürden haben ihren Ursprung auf der Makroebene, im politischen und gesellschaftlichen Umgang mit Elternschaft. Hier muss ein Umdenken stattfinden. Müssen Prioritäten anders gesetzt werden, Gelder anders verteilt werden. Muss Elternschaft und muss Social Entrepreneurship endlich die politische Wertschätzung bekommen, die sie verdienen. Denn beide – Eltern und Sozialunternehmer*innen – sind die Gestalter*innen der Zukunft. Wenn sie ihren ‚Job‘ gut machen können, können wir als Gesellschaft das Ruder in den wichtigsten Zukunftsfragen jetzt herumreißen.

Februar 2021. Einige Social Entrepreneure aus meinem Umfeld vermelden, dass endlich die Novemberhilfen eingetroffen sind. In Deutschland fehlen nach wie vor 324.000  Kitaplätze, allein in Berlin sind es etwa 26.000. Meine Nichte wird geboren. Wir machen weiter, jetzt erst recht!

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Wenn ihr bei diesen Themen auf dem Laufenden bleiben/mitreden wollt:

**Slack: COSI.collab** https://lnkd.in/gisb9SK