Elternzeit ist Gründer*innenzeit. Zumindest theoretisch. Denn wie viele der Ideen, die Eltern in der Elternzeit entwickeln, tatsächlich umgesetzt werden, ist nicht bekannt. Die Zahl dürfte überschaubar sein. Zumindest gibt es nur wenige Start-ups, deren sichtbare Gründungsgeschichte eng mit der Tatsache verwoben ist, dass die Gründer*innen Nachwuchs bekommen haben. Und wenn der Zusammenhang ersichtlich ist, dann meist bei Geschäftsideen, deren Zielgruppe explizit Eltern oder Kinder sind.

Thematisieren Gründer*innen den Einfluss ihrer Elternschaft auf ihr Business schlicht nicht, oder bleiben viele Ideen, die in der Elternzeit angedacht, die vielleicht sogar bis zum MVP entwickelt wurden, dann doch bewusst in der Schublade?

Ersteres bleibt zu untersuchen, zweiteres ist naheliegend. Und beides ist aus mehreren Gründen nicht wünschenswert. Denn die Elternzeit ist eine besondere Zeit im Leben, in der sich der Blick auf die Welt erfahrungsgemäß fundamental wandelt. Dinge, die vorher selbstverständlich schienen, werden in Frage gestellt: Worin habe ich eigentlich meine Energie investiert, bevor mein Kind da war? Und wofür möchte ich in Zukunft meine knapp gewordene und wertvolle Zeit nutzen? Für eine Arbeit, die nicht meine ist? Für einen Arbeitgeber, der mich nur widerwillig in die Elternzeit verabschiedet hat? Für ein Produkt, welches das Leben nicht nennenswert besser macht (außer das einiger weniger Personen an der Unternehmensspitze)? Was möchte ich eigentlich wirklich? Was möchte ich positiv zur Welt beitragen? Welche Welt will ich dem kleinen Menschen hinterlassen? Was werde ich später auf die Frage antworten: Mama, Papa, was machst du eigentlich den ganzen Tag? Und was hast du getan, als klar war, dass der Wald krank ist und das Bildungssystem und das Klima?

Nicht nur auf individueller Ebene tauchen Fragen auf, sondern auch im Hinblick auf das Zusammenleben – mit dem Partner oder der Partnerin, aber auch als Teil der Gesellschaft. Rollenbilder, Erziehung, Chancengleichheit, Bedürfnisorientierung, Bildung, ein gutes Leben – all diese Themen nehmen plötzlich viel mehr Raum ein. Es rattert im Kopf – ob beim Stillen, in den wachen Nächten, beim endlos-langweiligen Kinderwagen schieben oder beim begrenzt unterhaltsamen Spielen mit einem drei Monate alten Baby. Es sind genau diese Zeiten des gefühlten Stillstands, in denen innovative Ideen entstehen, getrieben von der Reflexion der eigenen Lebens- und Arbeitsumstände, aber auch vom neuen Blickwinkel auf die Welt.

Wer diese Erfahrung selbst gemacht hat, ist wenig überrascht, dass fast alle sichtbaren Eltern-Gründerinnen Ideen mit positivem Impact verfolgen – für die Umwelt, die Gesellschaft, mindestens aber für das eigene Arbeitsumfeld. Und es überrascht auch nicht, dass viele dieser Ideen bis heute nicht am Markt sind. Nicht, weil sie nicht das Potential dazu hätten, sondern weil es schlichtweg an Strukturen fehlt, die Elternschaft und Gründer*innentum bewusst zusammendenken. Es gibt wenige Orte und Angebote im Start-up-Ökosystem, die die Zeiten und Bedürfnisse von Eltern einbeziehen. Ein physisches Meetup zum Thema “Funding” abends um acht? Für viele schwierig. Für Alleinerziehende nahezu nicht machbar. Ein Coworking Space mit einem Publikum, das zu 90 Prozent aus Männern Mitte 20 besteht und zwar viele Fahrradständer für all die schicken Fixies hat, aber keinen Platz für Kinderwagen, geschweige denn einen Wickeltisch oder Stillraum, erzeugt bei einer Mutter oder einem Vater Mitte 30 vor allem das Gefühl, nicht dazuzugehören. Austausch und Vernetzung auch abseits eigens für Väter oder Mütter initiierter Treffen sind jedoch essentiell, um erfolgreich zu gründen!

Wenn wir eine von Vielfalt geprägte Wirtschaft wollen, ob bei der Zusammensetzung von Teams oder auf Produktebene, brauchen wir ein Start-up-Ökosystem, das die vielfältigen Lebensphasen und Erfahrungswelten von Menschen abbildet – räumlich und durch entsprechende Formate. Die Ressourcen von Eltern in Elternzeit sind kraftvoll, aber bewegen sich gerade in den ersten Lebensmonaten des Nachwuchses in einem eng gesteckten Rahmen. Umso wichtiger sind Strukturen, in denen sie ihre Gründungsideen fokussiert und eingebunden in ein starkes Netzwerk umsetzen können. Ein Netzwerk, das ihnen auch den Zugang zu finanziellen Mitteln ermöglicht, zu Investor*innen, die Elternschaft und Vielfalt wertschätzen und auf Unternehmen bauen, die organisch wachsen und auf Impact und Langfristigkeit ausgelegt sind, statt auf den schnellen Exit.

Eltern sind ein entscheidender Treiber bei der Neuausrichtung unserer Wirtschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit, Chancengleichheit und Menschlichkeit. Lasst uns Elternzeit und Gründer*innentum konsequent zusammendenken. Eine Investition in ParentPreneurship ist eine Investition in innovatives, wertegetriebenes und nachhaltiges Unternehmer*innentum.

Ein Wickeltisch im Coworking Space ist ein kleiner Schritt – aber ein wichtiger.